Beschreibung
Der Traum der Ente
„Also pass auf: Ich war ein Mensch, der im Schlaf geträumt hat, dass er eine Ente ist!“, so beginnt ein Sketch von Karl Valentin, in dem sich der Protagonist drei Minuten lang darüber beschwert, aufgeweckt worden zu sein, bevor er im Traum als Ente einen Wurm fressen konnte…
Willkommen in der fabelhaften Welt der Ente, willkommen zum zweiten International Music-Album mit dem fantastischen Titel „Ententraum“. Die Band hat ihr Album zwar nicht nach der alten Karl-Valentin-Nummer benannt, aber es ist doch ein schöner Zufall.
Peter Rubel, Pedro Goncalves Crescenti und Joel Roters wurden in diesem mehr als einstündigen Psychedelic-Rock-Trip beim kollektiven Träumen glücklicherweise von niemandem gestört. Höchstens von Produzent Olaf O.P.A.L, aber der ist nach der Produktion des gefeierten Vorgängeralbums „Die besten Jahre“ und dem nicht weniger erfolgreichen Album „Nenn mich Musik“ ihrer Schwesterband The Düsseldorf Düsterboys längst ihr Haus- und Hofproduzent geworden. Er stört also überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil!
„Wenn ich wüsste, was in dieser Kiste ist, küsste ich Dich, den Fürst von Metternich“, mit diesen Zeilen beginnt die Reise und schon befinden wir uns mittendrin im 17 Lieder starken Ententraum-Epos. Aber Moment mal, meinen die tatsächlich den europäischen Politiker?! Oder den nach ihm benannten Sekt aus dem Rheingau?! Dann wiederum würde auch die besungene Kiste wieder Sinn machen. Die Musik dieses Traum sklingt jedenfalls so, als hätten die Beatles ihre Inspiration für das Weiße Album nicht nur in Indien, sondern auch bei einem schottischen Dudelsackvirtuosen gesucht. Aber kaum hat man seine Gedanken zum fraglichen Fürsten etwas geordnet, da taucht auch schon ein gewisser Herr Schmidt als „Gedankenzähler“ auf. Dieser merkwürdige, von Pedro Concalves-Crescenti gesprochene Charakter, tritt auf diesem Album immer mal wieder als eine Art manischer Philosoph in Erscheinung. Er ist es auch, der sich später auf der Platte für den „Traum der Ente“ verantwortlich zeigt. Auch wenn Peter Rubel ihm dabei immer wieder ins Wort fällt – und das nicht nur in diesem Song.
Der Gedankenzähler jedenfalls scheint vor allem ein großer Geschichtenerzähler zu sein, voller versponnener und entzückender Ideen. Aber das wirklich Verrückte auf diesem Album: Alles in diesem surrealen Ententraum ergibt sofort Sinn, wenn die Band zum Chorgesang anstimmt. Der für International Music so typische Harmonie-Gesang, der immer so klingt, als singen The Byrds gerade zusammen mit Ian Curtis. Sixties-Pop und 80er Jahre Postpunk in einer vollkommen stimmigen Melange. Flowerpower in einer Welt aus Beton und Glasfaserkabeln.
Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob gerade die „Beauty of the bar“ oder ein „Wassermann“ besungen wird, ob wir uns mit ihnen auf die „Insel der Verlassenheit“ oder in die „Höhle der Vernunft“ begeben. Am treffendsten bringt es die Band selbst im Song „Misery“ auf den Punkt: „Die Sprache ist eklektisch. As you and me!“ Doch sobald der Chorgesang aufblüht, ist die Band über „All this misery“ komplett erhaben. Das Herz geht einem auf – und das ohne jeden Deutschrock-Pathos!
Da wird sich zwischendrin lieber in bester S.Y.P.H.-Punk-Manier mit verzerrten Instrumenten gegenseitig angemacht und „Spiel Bass!“ geschrien, Oder es erklingt, wie im Song „Marmeladenglas“, ein Stoner-Rock-Riff, das sich im Laufe des Stücks zum monotonen Drone entwickelt, weil Drummer Joel Roters den Schlagzeug-Einsatz so schön lang herauszögert. Und wenn es schließlich in dem Song „Zucker“ heißt: „Falsche Leute angelacht / Zu viel nachgedacht / Weltraumschrott im Treppenhaus / und der Blues schaut aus seiner Wohnung / in seinem Samtpullover in dunkelblau / Hart aber fair, am Start und zwar sehr“, dann sind die Fehlfarben aus „Monarchie & Alltag“ tatsächlich nicht mehr weit.
Vielleicht sind International Music so etwas wie eine hochmusikalische Punkband. Wobei sie unbedingt auch eine Krautrock-Band sind, hörbar große Verehrer von La Düsseldorf, sich aber immerzu dem Song verpflichtet fühlen. Ebenso unüberhörbar: Der Einfluss der brasilianischen Tropicalismo-Bewegung.
Aber nun, so eine Ente ist ein außerordentliches Tier: Sie kann schwimmen, tauchen, gehen und fliegen! Genauso vielseitig bewegt sich diese Band auch zwischen den Musik-Genres. Sie macht eben immer auch das exakte Gegenteil von dem, was man ihr gerade nachsagen möchte.
So wirkt ihr Ententraum am Ende wie ein Konzeptalbum, das einem die ganze Zeit über zu sagen scheint, dass es wohlmöglich nicht nur ein, sondern unendlich viele Konzepte gibt. Lauter lose Fäden in einem surrealen Tagtraum. Da kommen dem gebannt lauschenden Hörer, der gebannt lauschenden Hörerin sofort The Doors und ihr Song „Light my fire“ in den Sinn. Diese Referenz ist nicht einmal weit hergeholt, denn International Music beeindrucken uns in diesen 64 Minuten vielfarbiger Träumereien mit hoher Intensität und packender Dramaturgie, wie es eben nur die ganz großen Bands können. Und wieder ist den drei Musikern aus Essen dabei eine große Liebeserklärung an die Formation Schlagzeug, Bass und Gitarre gelungen.
„Der grüne Sarg und sein Pronom / wenn ich’s denke, weiß ich schon / Der Dschungel ist mein Zuhause / Ein grünes Band umarmt mich zart (…) weder weich, noch hart“, heißt es schließlich im vorletzten Stück. Musik und Poesie im hochinspirierenden Zusammenspiel von Mensch und Natur.
Aber fassen wir lieber nochmal zusammen, bevor wir uns vor lauter Begeisterung am Ende noch überschlagen: Der „Ententraum“ ist ein humorvolles, sprachverliebtes, psychedelisches (Anti-) Konzeptalbum voller Hits für hochkomplizierte Zeiten. Ein Album, mit dem sich die Träumer Peter Rubel, Pedro Goncalves-Crescenti und Joel Roters wieder „raus aus’m Zoo“ und „rein ins Geschäft“ wagen. Karl Valentin hätte vermutlich große Freude an diesem Werk gehabt.