Beschreibung
Es passieren wundersame, berührende und verwirrende Dinge auf diesem Album, das vier Männer mit Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang eingespielt haben. Und damit geht es ja schon los: Denn wie oft kann man diesen Satz eigentlich ruhigen Gewissens und ohne zu flunkern niederschreiben? Eben.
Im Falle von „Blüte“ stimmt es aber – dafür stehe ich mit meinem guten Namen, wie Claus Hipp sagen würde. fluppe – bitte klein schreiben, das sieht einfach besser aus und soll auch so – haben mich mit ihrem Album beim Hören immer wieder innehalten lassen, mich euphorisiert, fasziniert und eben auch mal verwirrt. Das gelingt dieser Band aus Hamburg, weil sie eine Musik macht, bei der man nicht sofort die gängigen „Klingt wie…“-Karten spielen kann. Klar, erste Augenzeugen ihrer Konzerte vergleichen fluppe gerne mit Turbostaat, was grob in die Richtung geht, aber mir kamen eher diese räudig-poetischen Post-Punk-Bands wie Do Nothing, shame, Protomartyr oder meinetwegen auch die eher pädagogisch-politischen IDLES in den Sinn. Wobei fluppe dann doch öfter als die genannten auf die melodieseligen Gitarren-Momente setzen, wie sie zum Beispiel die Weakerthans oder Sebadoh in ihren Hochzeiten zelebrierten.
Das macht sie für mich schon spannend. Aber dann sind da eben noch diese deutschen Texte, die mir wieder einmal bewusst machen, dass wir viel zu oft die gleichen Namen aus Hamburger Schulen, Düsseldorfer Künstlerkneipen oder Kreuzberger Töpferkursen feiern, wenn es um originelles Texten auf Deutsch geht. Und dabei viel zu selten jene seltsamen Blüten feiern, die aus den mit Dackelblut gegossenen Blumen am Arsch der Hölle im Garten von Oma Hans erblühen. Oder diese Worte als beste Waffe, die man sich ein sozialkritisches Schlagzeugsolospäter noch immer geben kann, wenn der ganze Körper „Hallo Endorphin“ schreit. Oder jetzt eben: die bunte „Blüte“, der man mit fluppe im Ohr und Fluppe im Mundwinkel beim Aufblühen zuhören kann. Und die einem diese wundersamen Sätze einsingt. „Im Weltall sind Computer auch nur Menschen“ (in „kompjuter“) zum Beispiel – eine Aussage, die HAL mit bestimmtem Blinken und ruhiger Stimme bekräftigen würde. Oder: „Williams Christ in meiner Birne, die volle Blüte mittelspät / Ich halte dich, während du einknickst“ (aus „williams christ superstar“). Oder „In Büchern und Balladen fallen unsere Namen / Ich möchte Luftschlangen schlagen / wie die Mädchen, zu denen ich nie zählte“ aus dem genial betitelten „nikki swango“ – eine lyrische Verneigung vor der (von Mary Elisabeth Winstead gespielten) Frau, die fast im Alleingang die dritte Staffel der Serie „Fargo“ sehenswert gemacht hat.
Aber ich schweife aus. Oder ab. Zeit für die Standards – ein wenig Fleisch an den Knochen dieser Promokeule. Also: fluppe stammen aus Hamburg, das sagte ich schon. Die Band besteht aus Josef Endicott, Antoine Laval, Lars Brunkhorst und Christian Klindworth. Da fluppe erstaunlich basisdemokratisch agieren und Pflichten gleichmäßig verteilen, trinke ich ein distanziertes Feierabendbier in der Zoom-Pinte mit Christian. Er bestätigt mir zuerst das, was ich schon vermutete. Wer so eigen unterwegs ist mit dem bewährten Rockbesteck aus Gitarre, Schlagzeug, Bass und Gesang, der macht Musik nicht erst seit gestern. „Wir kennen uns alle schon eine Weile. Wir sind quasi die Leute, die aus anderen Bandprojekten übrig waren, die irgendwann versickert sind.“ Was meiner Meinung nach aber die große Stärke der Band ausmacht. Das sieht auch Christian so: „Wir haben einen ungeheuer produktiven Spirit und haben sogar schon fast ein zweites Album fertig, weil wir gerade eh nicht touren können. Ich glaube, das liegt daran, dass bei uns genau die Musiker gelandet sind, die immer ein bisschen mehr reingegeben haben und irgendwann frustriert waren, weil sich bei anderen Bandmitgliedern die Interessen verschoben haben.“ In ihrer eigenen kurzen Bandbiografie schreiben fluppe über ihren – sehr genialen (auch wenn sie das nicht zugeben) – Bandnamen: „Am Anfang war das Wort.“ Was hier, und da unterscheiden sie sich von der Bibel, nichts als die Wahrheit ist. „Ich hatte den Bandnamen schon im Kopf und sagte dann zu einem Kumpel, ich hätte noch mal Lust, eine Band zu machen und auf Deutsch zu texten.“ Besagter Kumpel war Josef Endicott, der nun Sänger ist und zuvor ebenfalls nur auf Englisch gesungen hatte. „Ich musste ihn ehrlich gesagt ein wenig zu seinem Glück zwingend“, sagt Christian. „Josef hat manchmal bei Solokonzerten so eine deutsche Nummer auf Akustikgitarre gesungen und das klang für mich immer schon besonders. Trotzdem hat er sich eine Weile geziert.“ Zum Glück ist das nun vorbei, denn seine Stimme passt sehr gut zu diesen fluppe-Texten, die Christian und Josef mittlerweile zusammenschreiben und auch schon mal mit der Band ausdiskutieren. Aber, so Christian grinsend: „Wir sitzen hier nicht ständig mit einem Weinglas in der Hand, lesen uns Gedichte vor und schmecken Worte ab. Für uns alle war klar: Wir machen das, um damit rauszugehen und nicht um das klügste Album der Rockgeschichte aufzunehmen – und dabei dann nicht fertig zu werden.“ Es habe in den ersten Monaten einen Abend gegeben, wo die vier nach einer Proberaumsession beim Bier am Späti standen und einer sagte: „Sieben Songs haben wir ja schon im Kasten. Noch einer mehr – und dann könnten wir doch mal ein Konzert spielen, oder?“ Schöner Band-Spirit – was mir überhaupt oft im Gespräch mit Christian auffällt. Zum Beispiel auch, wenn er das kreative Arbeiten der Vier beschreibt und sagt: „Wir haben halt nicht DEN einen Songwriter. Wir machen das schon alles als Band und das finde ich persönlich sehr cool. Wir sind zum Glück alle sehr uneitel, wenn es um das Teilen von Ideen geht. Man kann sich den Ball zuspielen und dadurch werden die Dinge meistens besser. Das ist eine große Freiheit.“ Bei diesem Ping-Pong-Spiel muss man vielleicht auch noch den Produzenten Gregor Hennig nennen, in dessen Bremer „Studio Nord“ fluppe das Album in einigen intensiven Mehr-Tages-Sessions einspielten. Christian sagt: „Am Ende klingen die Stücke dafür trotzdem sehr natürlich, als käme alles aus einer Hand. Das finde ich sehr schön.“ Ist es auch. Und stimmt. Kann ich so unterschreiben.
Die Freude an diesen Liedern entsteht vor allem, wenn man sich in sie hineinziehen lässt. Zum Beispiel in die bereits erwähnte Vorabsingle „nikki swango“. Musikalisch einer dieser catchy Post-Punk-Brocken, der mit stockendem Groove beginnt und sich in den Strophen einem sehr eingängigen Refrain entgegenschraubt. Und wieder diese Texte! „Neuerdings bin ich gegen die Dealer und für die Bienen / Es wird sicherlich bald Frühling werden / die Kulisse unscharf.“ Das ist seltsam, poetisch – und, tja, irgendwie clever und räudig zugleich. Was auch zur Serienheldin gleichen Namens aus „Fargo“ passt. Christian erklärt diese Hommage so: „Schon ihr Name ist cool, weil er wie so ein Metalname klingt und auch an Nikki Sixx erinnert. Aber ich fand das Setting in ‚Fargo‘ spannend, wo sie ja eine Frau ist, die mit dem Bewährungshelfer durchbrennt, der aber viel mehr Dreck am Stecken hat, als sie, die eigentlich nur ein freies Leben führen will. Außerdem“, und da lacht er kurz auf, „arbeite ich in einem Strafverteidigerbüro – und da ist manchmal mehr Rock’n’Roll als im Rock’n’Roll.“ Im Grunde, sei „nikki swango“ aber auch der Versuch, als „Jungsband“ ein originelles, emotionales Liebeslied zu schreiben. Ist ihnen gelungen. Beindruckend dunkel wird es in „schwarzer bus“, einer der wenigen Momente, wo man mal kurz versteht, warum sie viele mit Tocotronic vergleichen wollen – was in diesem Fall aber nur zur „K.O.O.K.“-Phase der Tocos passt. Vor allem die Drums in „schwarzer bus“ haben etwas sehr Eigenes, Treibendes. Christian erklärt: „Unser Drummer ist ein wenig jünger als wir und stark von Bands wie Bloc Party oder Foals beeinflusst.“ Kein schlechter Einfluss – vor allem, wenn es um die Drums geht. Spacig wird es bei „kompjuter“ – ein Lied, das viele Haken schlägt, ganze Welten aufmacht und andeutet, was aus fluppe rauszuholen ist, wenn sie mal freidrehen. Lyrisch ist man fast auf den Spuren eine Space Opera – starring: ein Astronaut mit Allergie; Computer, die Menschen sein könnten, und in der Unendlichkeit an ihre Grenzen kommen; Cowboys, die auf Raketen reiten und darauf warten, dass es kracht; ein Groschen, mit dem man in einer fernen Galaxie eine Pre-Paid-Karte der Firma D2-Mannesman freirubbelt. Das alles ist ebenso fantastisch wie humorvoll. Christian erzählt: „Da haben wir uns mal von allem freigemacht und wollten instrumental so was Notwist-mäßiges machen. Plötzlich hatten wir dann diesen Spoken-Word-Part und Cowboys im Weltall.“ Der Song sei auch eine Metapher, für die „Verlorenheit, die man gerade bei den Menschen im Internet beobachten kann. Das gibt’s ja inzwischen auch schon ewig und trotzdem führt es nicht dazu, dass man weitschweifender denkt, sondern die Leute in diesem ausufernden Kosmos immer verlorener wirken.“ Hit-Qualitäten findet man auch bei „scotland yard“, ein Lied, in dem sie das berühmte Gesellschaftsspiel gleichen Namens als Metapher für das Leben nehmen und singen: „Du kannst kostenlos Taxi fahren, darum ist so schwer dich zu jagen / wo wir glauben, dich zu kennen / schipperst du schon längst auf der Themse bis zum anderen Ende.“ Hier könnte man musikalisch kurz verstehen, warum in den ersten Artikeln über fluppe gerne die Hamburger Schule genannt wurde. Aber Christian sagt: „Das ist natürlich schmeichelhaft, die war ja auch wichtig. Aber ich kenn mich da einfach nicht gut genug aus, um das als Einfluss zu sehen. Ich kann jetzt keine fünf Songs von Der Regierung aufzählen und bin kein Blumfeld-Experte. Für mich waren … But Alive, die Boxhamsters oder Turbostaat wichtiger.“
Am besten nähert man sich diesem Debütalbum aber eh ganz unbefangen und gibt fluppe die Chance, sich als sehr eigene Stimme in der heimischen Indie- und Punk-Welt zu behaupten. Und auch wenn mir die Texte seit dem ersten Hören nicht mehr aus dem Hirn gehen, sollte man die Musik dahinter ebenso wertschätzen. Hier wird nämlich auf eine Weise Rockmusik zelebriert, wie sie nicht viele Bands hinbekommen. Diese Musik klingt clever und räudig zugleich, sie geht in Herz und Körper, bringt ihn in Bewegung und ist dennoch nie so formelhaft, dass jemand fluppe nachsagen könnte, sie würden „rocken“. Und damit sind wir dann auch bei der perfekten Schlusspointe für diesen Text, die am besten Christian noch mal erzählt: „Unser Produzent Gregor meinte wirklich mal zu uns: ‚Ihr rockt ja überhaupt nicht.‘ Das war für uns eher schmeichelhaft – weil wir genau wussten, dass er es als Kompliment meint und wir alle wissen, wie schwer es ist, diese Musik zu spielen und zwischen den Nach-Vorne-Geh-Momenten trotzdem gefühlvoll zu klingen.“
Daniel Koch