Beschreibung
Haltung zeigen gilt heute als zentrales Merkel für politische Popkultur. Waren wir da nicht schon einmal weiter? Fanden wird nicht irgendwann mal bloß Haltung zeigen zu ausgelutscht? Zu ausbeutbar, zu umdeutbar in ein Just-Do-It-Rebellentum? Heute, wo sie selbst im tropischen Brasilien, einst Traumland der Globalisierungskritiker_innen, einen Rechtsradikalen zum Präsidenten wählen, greifen wir wieder instinktiv in die Schublade, dahin, wo die guten alten Haltungen lagern. Und die bewährten Genres gleich daneben. Wir halten sie vor uns her wie Schutzschilde. Bella Ciao – komm, wir wärmen uns am alten Partisanenlied! Komm, wir singen Antifa-Stadionpunkrock wie früher! Rebellischer Reggae und Hiphop, hoch die Faust, da wissen wir wenigstens, wo wir dran sind. Ein verrauchtes Honky-Tonk-Piano erklingt: »Komm Joe, mach die Musik von damals nach!« So heißt es in Brecht’s Dreigroschenoper, die Goldenen Zitronen zitieren das.
Schon auf einer ihrer früheren Platten (ich weiß nicht mehr welche) haben sie sich beschwert, warum es immer »Nazis raus!« heißt, wo doch jeder weiß, dass die Nazis hierher gehören.
So sind die Goldies. Immer voll drauf mit den Waffen der Kritik. Sezieren, aufspießen, Widersprüche polieren. Nörgel, nörgel, mecker mecker. Vielleicht sind die Goldies nach wie vor eine Punkband, aber wenn dem so ist, dann ist Punk eine Haltung, die Haltungen (musikalische, inhaltliche) sucht, die es noch nicht gibt. Bei den vergangenen Platten war diese Suche gerne ein kollektives Unterfangen, die Songs entstanden in Jams und gemeinsamen Debatten.
Auf »More Than a Feeling« sind die Goldenen Zitronen arbeitsteiliger vorgegangen, eher so wie zeitgenössische Hiphop-Produktionen entstehen. Acid, DAF, Ernst Busch, Kendrick Lamar, Punkrock, Störgeräusche, Experimente mit Sequencer und Drummachines: Die Goldies äußern sich immer so, wie es bisher niemand gemacht hat, musikalisch und inhaltlich. Sie interessieren sich für »das schwer Benennbare«, wie es in »Die alte Kaufmannsstadt, Juni 2017« heißt, ein Stück, das die Geschichte des G20-Spektakels in Hamburg erzählt. Die Goldenen Zitronen haben während der G20-Proteste zur Eröffnung der linksautonomen »Welcome to Hell«-Demo gespielt. Denn »the wealth of the few is hell to the others«, so erklären sie es, ohne sich die Kritik der »Rollenfestspiele« zu versagen: »Wie meist bei solchen Anlässen war nicht klar ob diejenigen, die hier diesen Kampf in symbolträchtigen Bildern ausagierten auch wirklich verständlich sind für die Verdammten dieser Erde,für die sie bei solchen Anlässen ja immer zu sprechen glauben / Die Gesichter die man hinter den schwarzen Kapuzen und Sonnenbrillen sehen konnte waren weiß und meistens männlich.«
Die Gesichter der Goldenen Zitronen sind auch weiß und meistens männlich, aber immerhin ziehen sie sich ab und an mal die Schuhe von anderen Leuten an. Wie zum Beispiel in »Es nervt«, mitgeschrieben und gesungen aus der Perspektive einer schwarzen Person, die das Verhalten weißer Linker reflektiert, im Original ein Stück von Schwabinggrad Ballett & Arrivati, deren Sängerin Latoya Manly-Spain hier als Gast singt: »Wir, das edle Objekt of your projections, Protagonistinnen euer Schlachtengemälde / Solange wir nicht das Falsche sagen und euch enttäuschen mit falschen Vorwürfen und Undankbarkeit«.
»Ohlalalala« singen die Goldies auch, aber dann gleich: »Sehe ich Dunkles hinter deiner Tür / Ich bin da, ich helfe dir«. Spielt »Nützliche Katastrophen« im Kopf von Caligula? In dem von Björn Höcke oder Viktor Orban? oder von Boris Johnson? Geht’s hier um die tot geglaubte Wiederkehr von populistischer Feindbildproduktion zum machtpolitischen Selbstzweck? Oder seh‘ ich mich noch auch ganz gerne in der Trotzdem-alles-im-Griff-Rolle? Diese beunruhigende Gewissheit, dass das Private politisch ist, liegt oft unter den Texten der Goldenen Zitronen. »Ich weiß jetzt das du Angst hast vor Veränderung / Obwohl du gern nach Teneriffa fliegst«, heißt es in »Bleib bei mir« (feat. Sophia Kennedy). More than a feeling eben. Selbst ein retro- und funmäßig daherkommender Song wie »Das war unsere BRD« bringt einen ganz schön zum Grübeln: »Aufkleber, die die Gesinnung klären«, »Polizisten im Safarilook«, weißt du noch, Schatz? Aber waren wir damals besser dran? Was heißt überhaupt »Wir«?
»More than a Feeling« ist nicht zuletzt auch eine Sammlung von verzweifelten Spottliedern, also Songs, bei denen du nicht recht weißt, ob nicht die Verzweiflung über das Verspottete den Spott noch durchdringen lässt. Wie in »Mauer bauen« zum Beispiel, wo sich die Goldies fragen, was eigentlich mit »Volk« gemeint ist: »Meinen sie damit, dass sie um die Nasen die sie tragen wollen, dass sie um die Musik die sie hören wollen, um die Autos die sie fahren wollen, um die Schweine die sie essen wollen, um die Schritte die sie marschieren wollen etwas herum bauen wollen, um nur »ihr wir« sein zu können?« Irre ich mich, oder gab es je auf einem Album der Hamburger Band so viele »Hä?«, »What?« oder »Was?«-artige Ausrufe gleich im Eröffnungsstück »Katakombe«? Nicht immer gleich die Haltung aus dem Schrank holen. Erstmal verstehen wollen, was eigentlich abgeht.
Christoph Twickel, November 2018