Beschreibung
Wir schreiben das Jahr 2022 nach Jesu Geburt. Der Mann melden sich zurück. Acht Jahre nach ihrem Debütalbum »Wir sind der Mann« rufen Ramin Bijan, Maurice Summen, Michael Mühlhaus und Johannes von Weizsäcker mit TOP: »Wer auch immer uns vermisst hat: Wir sind wieder da!«
Im Frühsommer 2021 nämlich begab sich die Berliner Band für einen Monat ins Studio und spielte aus zuvor erarbeiteten Songskizzen eine neue Platte ein. Und hier ist nun TOP.
Zum Personellen: Man bräuchte schon ein Organigramm, um nachvollziehen zu können, welche (Ex)-Mitglieder von Der Mann, Die Türen, Baked Beans, Erfolg sowie Ja, Panik, The Chap und Blumfeld nun mal auf welcher Position in welcher dieser Bands gespielt haben und warum respektive warum dann wieder kurzzeitig nicht. Es reicht aber zu wissen, dass Sänger Maurice Summen und Bassist Ramin Bijan seit ihrer Teenager-Zeit, also seit mehr als 30 Jahren, zusammen Musik machen und das Gravitationszentrum von Der Mann sind.
Neben den aktuell nun vier Musikern sind auch die Künstler und Designer Helmut Kraus und Sebastian Kaltmeyer erneut dabei, als Band-Mitglieder, die bei Der Mann für das Visuelle zuständig sind. Außerdem ist auf einigen Songs der Berliner TOP-Drummer Moritz Baumgärtner zu hören.
Der Mann ist also wieder auferstanden. Damit passt er nicht nur vom Namen her bestens in eine Welt, in der ein großer Teil derselben den Ablauf eines Jahres noch immer ernsthaft an den Lebens- und Sterbedaten eines einzelnen, vor mehr als zwei Millennien geborenen und ständig wiederauftauchenden Dudes ausrichtet. Der Mann passt damit auch bestens in eine Zeit, in der sich die Menschen vor lauter fundamentaler Unsicherheit und einem daraus erwachsendem Bedürfnis nach dem Gewohnten in ein Spiegelkabinett des schon Bekannten begeben haben, in denen fortwährend das Beste der 70er, 80er und 90er läuft und nur ganz manchmal das Beste von Heute. Wer könnte es ihnen verdenken.
Der Mann haben sich musikalisch und visuell dafür entschieden, den Zeitpunkt Ende der 1970er und Anfang der 1980er fest zu umarmen. Das Cover: in der Ästhetik von Heaven 17s »Penthouse and Pavement«. Die dazu passenden Lifestyle-Accessoires: Kreditkarte, Rolex und Rolodex. Der Mann ist nämlich ein Yuppie. Auch so ein Wiedergänger, nur sieht der heute aus wie Christian Lindner und kommt auch mal im Hoodie daher. Was die musikalischen Ausdrucksformen angeht, hätten Gitarre, Schlagzeug, Bass und Synthesizer genau so auch schon vor 40 Jahren gespielt werden können.
Was Der Mann auf TOP jedoch thematisieren, ist eindeutig heutig. Es geht um Oberflächen-Phänomene. Im flotten Opener »SUV« und dem zum Offbeat schunkelnden »Bewertungslied« etwa um das fortwährende Hypen, Rummeinen und Raunen in den sozialen Medien. Es geht, im nachdenklich-sanften »Country, Western, Coaching & Consulting« oder im Postpunk-Boogie-Hybrid »Peyote Retreat« um psychedelische Techniken, die mal subversiv waren, aber mittlerweile längst von Konzernen zur Mitarbeitermotivation und Umsatzsteigerung aufgesogen wurden. Und es geht um den Staat, der sich mit Fördergeldern und Stipendien eine die sie füttert, überhaupt noch interessiert, ob sie nun gebissen wird oder nicht.
Kurz: Es geht auf TOP um alles, was einen in der spätkapitalistischen Gegenwart so richtig angruseln kann. Bei dem man aber, siehe Staatsgelder und Social Media, kaum NICHT nicht mitmachen kann, legt man Wert darauf, überhaupt in der Welt stattzufinden.
»Im Herz schmeißt du Steine/Im Kopf bist du müde«. In dieser Zeile steckt die ganze unausweichliche Ambivalenz, die TOP durchzieht. Keine Handlungsanweisungen, keine Rebellion, kein echter Ausweg, nirgends. Der Mann ist kein junger Aufrührer mehr, der noch glaubt, die Welt verändern zu können. Der Mann ist Ende 40, Anfang 50, also genau in dem Alter, in dem die Kinder für gewöhnlich auf dem Gröbsten raus sind und zu Hause etwas Ruhe einkehrt. Aber der Rücken und die Knie machen noch gut genug mit, dass er jetzt den Gipfel seiner Schaffenskraft erklimmen kann. Er ist erfahren und altgedient genug, um in der Firma in die C‑Suite aufzusteigen. Als CEO weiß er, dass er nicht mal besonders viel Glück hatte, geschweige denn sich besonders anstrengen musste, sondern einfach nur so gut wie alle Privilegien auf seiner Seite hatte. Was ihm zunehmend unangenehm wird.
»Wir sind total privilegiert«, sagt Maurice Summen dazu – beziehungsweise zum anhaltenden Untergrund-Status seiner Männer-Band. »Aber wir haben recht wenig daraus gemacht.«
Aber nicht doch! TOP ist ist ein Alpha-Werk von einem Album geworden.
Anne Waak.